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19 Februar 2007

Ganz schön happig: Verbraucherkredite in Japan

Geldautomaten sind weltweit längst etwas völlig normales. In Japan geht das Prinzip einen Schritt weiter: Dort gibt es nicht nur direkt Bargeld, Kunden können an diesen Maschinen direkt Kleinkredite aufnehmen. Das Geschäft mit hohen Zinsen boomt – bislang.

Wer am quirligen Bahnhof Shibuya den Hauptausgang nimmt und nach links schaut, sieht auf dem Dach eines Geschäftshauses eine blaue Werbefläche von der Größe eines halben Tennisfeldes. Der Kreditanbieter Takefuji verkündet, im neunten Stock sei einer seiner „Yen-Shops“. Im Erdgeschoss sitzt eine chinesische Wahrsagerin hinter einem Plastikvorhang. Es lärmt eine Spielautomatenhölle. Der Aufzug quietscht.

Im sechsten Stock hängt ein Schild, das um die Ecke weist. Hinter einer Tür mit der Aufschrift „Yen-Shop“ findet sich lediglich eine enge Ecke mit einer Maschine, die einem Geldautomaten ähnelt. Hier gibt es Geld auf Pump. Jeder, der Bedarf hat, kann auf Tastendruck einen Kredit aufnehmen. Diese Automaten stehen überall im Land, denn Japans Bankkunden dürfen ihr Girokonto nicht überziehen. Sie sind bei akuter Geldknappheit auf solche Yen-Shops angewiesen.

Entsprechend groß ist der Markt. Das jährlich vergebene Kreditvolumen schätzten Analysten in guten Zeiten auf umgerechnet rund zwei Mrd. Euro; zurzeit stehen etwa 34 Mrd. Euro der unbesicherten Kredite aus. Die Anbieter lassen sich das schnelle Geld ohne große Bonitätsprüfung gut bezahlen. Zinsen von knapp 30 Prozent pro Jahr sind die Regel. Für die Kreditfirmen ist das ein lukratives Geschäft mit hohen Margen, denn sie können sich bei der Zentralbank fast kostenlos refinanzieren. Das beschert ihnen satte Gewinne. Doch die Geschäftsgrundlage bricht weg.

In Tokios U-Bahnen werben Rechtsanwälte für ihre Dienste. Das ist in Japan so ungewöhnlich wie in Deutschland, doch die mögliche Kundenzahl für die Kanzleien ist zu groß, um sich das dicke Geschäft entgehen zu lassen. „Haben Sie Sorgen wegen überhöhter Zinsen?“, prangt an den Türen der U-Bahnwagen. Dann folgt eine längere Erklärung in kleiner Schrift, wer gegen seinen Kleinkreditanbieter klagen kann. Darunter steht eine kostenfreie Telefonnummer für die erste Beratung.


Der Gesetzgeber hat den Juristen ein Geschäftsfeld eröffnet und den Kleinkreditfirmen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Parlament verfügte, dass alle Geldverleiher nach einer Übergangsfrist ab 2009 keine Zinsen über 20 Prozent mehr nehmen dürfen. Die bankunabhängigen Anbieter im Kreditgeschäft hatten bis dahin eine Gesetzeslücke genutzt und den maximal zulässigen Zinssatz von 29 Prozent berechnet. Einzige Voraussetzung war bisher das schriftliche Einverständnis des Kreditnehmers – das sich leicht im Kleingedruckten verstecken ließ. Die verbreitete Praxis, Kunden nur schlampig aufzuklären, bietet allerdings nun die Grundlage für Kundenklagen. Das oberste Gericht hat bereits entschieden, dass die Betroffenen bei fehlerhafter Beratung grundsätzlich ein Recht auf Rückzahlung der Zinsen haben. Mit der Klarstellung des Gesetzgebers im Rücken sehen die Anwälte vor Gericht nun besonders gute Chancen auf Erfolg. Um welche Summen es geht, belegen die Rückstellungen der Branche: Rund eine Billion Yen (6,3 Milliarden Euro) haben die Kreditanbieter für die Rückzahlung von Zinsen oberhalb von 20 Prozent beiseite gelegt.


Solche Beträge sind selbst für eine gut verdienende Branche schwer zu schultern. Einer Umfrage des japanischen Konsumkreditverbands zufolge erwägt ein Fünftel der 124 Mitglieder, sich aus dem Markt komplett zurückzuziehen. Nur zwölf Prozent wollen gar nichts ändern, die übrigen werden ihr Geschäftsmodell anpassen oder bei einem Finanzkonzern Unterschlupf suchen.

Der Angriff der Regierung hat zusammen mit einer Reihe von Skandalen den Ruf der Verbraucherkreditanbieter so gründlich ruiniert, dass sich potenzielle Kunden mittlerweile lieber an die Banken wenden, die freilich Bonitätsprüfungen und Sicherheiten verlangen. Während die Kreditläden 2006 drei Prozent ihres Geschäfts verloren, verzeichneten die Banken einen Zuwachs von gut 15 Prozent im Kreditgeschäft. Experten zufolge könnte das Geschäftsvolumen der 16 Verbraucherkreditspezialisten durch das neue Gesetz um fast die Hälfte sinken.

Im der Fernsehwerbung laufen warnende Spots: Ein Glas ist zu sehen, in das ein dünner Strahl Wasser läuft. Das Glas ist schon ziemlich voll, aber eine Stimme sagt: „Etwas geht noch.“ Als das Glas randvoll ist, sagt die Stimmer wieder: „Etwas geht noch.“ Als sich das Wasser oben schon über den Rand wölbt, sagt die Stimme noch einmal: „Etwas geht noch.“ Dann löst sich die Oberflächenspannung, und alles läuft über. Die Mahnung ist deutlich.

Initiiert hat die Kampagne das Verbraucherministerium, denn die Zahl der überschuldeten Japaner ist in den vergangenen 15 Jahren steil gestiegen. Der Finanzaufsicht zufolge haben 2,3 Millionen Japaner bei mehr als fünf Anbietern zugleich Geld aufgenommen, um die Obergrenzen zu umgehen. Die Löhne sind jedoch zuletzt kaum gestiegen – da ist häufig ein Kredit nötig, um einen anderen Kredit bedienen zu können. Vier der sechs großen Kreditanbieter legen wegen der Finanzprobleme ihrer Kunden seit einigen Wochen freiwillig strengere Kriterien an und lehnen jetzt im Schnitt 44 Prozent der Anträge ab. Auch aus Eigennutz, denn der Anteil der faulen Kredite wurde trotz der immensen Zinsen zur Belastung.

Mit den Bonitätsproblemen trat dann ein Phänomen auf, das vermutlich einzigartig für Japan ist. Einige der Kreditanbieter legten ihren Kunden in deutlichen Worten den Freitod nahe, um über verpfändete Lebensversicherungen ihre Schulden zu begleichen. Und die Kreditanbieter nahmen nach offiziellen Angaben im Jahr 2005 drei Milliarden Yen ein, die ihnen Lebensversicherer von Selbstmördern zahlten.

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Quelle: Handelsblatt v. 19.02.2007

Den vollständigen Artikel finden Sie unter: www.handelsblatt.com/news/Unternehmen/Banken-Versicherungen/_pv/doc_page/1/_p/200039/_t/ft/_b/1227124/default.aspx/der-run-in-die-schuldenfalle.html

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